Folge 1 – Meister der Herzen 1955

Meister der Herzen 1955: Die junge Butzbacher Reserve

(uc). Als am 4. Dezember 1955 im Finalspiel der Hallenhandball-Kreismeisterschaft der 3:2 Siegestreffer fiel, waren über 300 Zuschauer in der Butzbacher Reithalle restlos begeistert. Eine blutjunge Reservemannschaft des TSV Butzbach hatte als Außenseiter völlig überraschend gegen namhafte Konkurrenz und die eigene erste Mannschaft triumphiert und im Anschluss ausgelassen gefeiert – allerdings etwas zu voreilig, denn nur wenige Tage später bekam das Perspektivteam den Titel am Grünen Tisch wieder aberkannt, sehr zum Unmut der Fans und der Öffentlichkeit.  Was war passiert?

Eine erfolgreiche Butzbacher A-Jugend wechselte zu Beginn der Verbandsrunde 1955 in den Männerbereich und bildeten eine neuformierte Reservemannschaft. Sechs der neun Spieler hatten die Altersgrenze nach den Statuten des Verbandes erreicht, drei Jungs aber nicht. Die in den Jahren zuvor sehr erfolgreiche und eingeschworene Jugendtruppe wollte nicht auseinandergerissen werden und so beantragten die Butzbach Handballer bei der zuständigen Paßstelle eine Sondergenehmigung für die drei jüngeren Spieler Buhl, Grieshaber und Hans Schmidt, die allerdings mit dem Hinweis auf „Verschärfte Bestimmungen bei der Aktivierung von Jugendlichen“ aus Frankfurt nicht erteilt wurde. Da der Kreisvorstand aber über die Paragraphen hinwegsah und der TSV Butzbach seiner Perspektivtruppe einiges zutraute, durfte das Team mit einem Durchschnittsalter von 18 Jahren trotzdem zunächst an der Feldrunde (Am Ende Platzierung im oberen Mittelfeld) und später auch bei der Hallenmeisterschaft der Männer teilnehmen, um dann im Finalturnier wie ein Orkan über den Platz zu fegen und renommierte Teams aus der Wetterau samt den Vorbildern aus dem eigenen Verein hinter sich zu lassen, denn die reguläre erste Männermannschaft des TSV Butzbach landete an besagtem 4. Dezember nur auf Platz zwei. „Zur Bezirksmeisterschaft nach Gießen wird auch mitgefahren“ sollen zahlreiche Fans spontan in der Reithalle gesagt haben.


„Zu jung“ für die Hallenkreismeisterschaft 1955, Das Butzbacher Juniorteam,  stehend v.l.: Nanzig, Schmidt, Buhl, Grieshaber, Trainer Kreyser. Knieend v.l.: Gürtler, Streit, Bickoni.

Irgendjemand muss dann in der Folge Einspruch erhoben haben, dass die drei Butzbacher Spieler am Tag der Endrunde nicht im Besitz eines gültigen Passes waren. So hatte Bezirksspielwart Becker eine schwere Entscheidung am Grünen Tisch zutreffen. Er verfuhr nach der Satzung und erklärte die Siege der Butzbacher Reserve für ungültig, was in der Presse empört als Paragraphenreiterei und fehlendes Fingerspitzengefühl tituliert wurde, die Fangemeinde der jungen Burschen aber mutmaßlich noch größer werden ließ. Das beschauliche Butzbach hatte seinen ersten kleinen sportlich Eklat in der jungen Nachkriegsgeschichte.

Praktischerweise fand nur zwei Wochen später das Weihnachtsturnier der Butzbacher Handballabteilung statt – an gleicher Stätte in der Reithalle mit einem ähnlichen Teilnehmerfeld. Dieses Male durfte die Reserve ganz offiziell teilnehmen und gewann am Ende tatsächlich ein zweites Mal das Turnier. Die Sportpresse vermeldete: „Sie wurden nicht enttäuscht, zumindest die Anhänger der Butzbacher Reservemannschaft und alle objektiven Sportanhänger nicht, denn nach einer Reihe teils technisch schöner, teils kämpferischer Spiele stand die spielerisch reifste Mannschaft des Tages als Sieger fest: der junge und wahre Kreismeister, Butzbachs Reserve.

Aufstellung der „Meister der Herzen“ aus dem Jahr 1955: Tor: Streit, Nanzig; Abwehr: Gürtler, Bickoni, Thiele; Sturm: Grieshaber, Schmidt, Dannwolf, Buhl.  

Th. Buch