Folge 12 – HSV – Interview Auer

Kollektiver Austritt oder wie aus einer Protestbewegung ein Kultverein wurde

(uc). Das Jahr 1976 war für die Handball-Abteilung des TSV Butzbach problematisch. Nach wochenlangen Differenzen mit dem Vorstand trat die zweite Männermannschaft am 22. März kollektiv aus dem Verein aus und gründete Tage später einen neuen unabhängigen Handballverein in Butzbach. Aus einer clubinternen Protestbewegung mauserte sich in den folgenden Jahrzehnten mit dem HSV Degerfeld ein Kultverein, der es verstand, trotz aller Unkenrufe über 40 Jahre erfolgreich zu bestehen.

Während der TSV Butzbach den Vorfall in der Führungsetage konsequent bagatellisierte, erfreute sich die HSV-Truppe in den 1980er Jahren immer größerer Beliebtheit. Lange Haare und Vollbärte waren nur ein Markenzeichen einer großartigen Gemeinschaft um die Häuptlinge Hans Ungerwetter sen. Wilfried Bialys und Jochen Balser, die sich als originellen Alternative gegenüber dem konservativen TSV abgrenzte. Rein sportlich gesehen hatte die Sache für alle Beteiligten aber ihren Preis, denn das handballerisches Potential im Stadtgebiet neutralisierte sich nachhaltig.


Die zweite Herrenmannschaft (1A-Mannschaft, wie sie damals genannt wurde) im Jahr 1975 in der Sporthalle am Hallenbad, vordere Reihe von links: M. Dannowski, H. Spiess, W. Bialis, K.H. Diehl, H. Müller. Stehend von links: Günther Werner, M. Bernhard, A. Holzfuss, J. Scherbarth, J. Balser, M. Fritz, M. Jüngel, H. Kirscher
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In den folgenden Jahrzehnten wurden die beiden Butzbacher Kernstadtvereine quasi von allen Nachbarvereinen überholt. Münzenberg, Griedel, Kirch/Pohl-Göns und Kleenheim etablierten sich in der Landesliga und Oberliga. Für den TSV Butzbach ging es bis zum Ende des Jahrtausends in die A-Klasse zurück, der HSV Degerfeld kam quasi nicht über die A-Klasse hinaus.

Mythen und Halbwahrheiten gibt es über die Geschichte viele. Aber was war im Frühjahr 1976 eigentlich wirklich geschehen? Welche Fehler führten zum kollektiven Bruch? Und warum war niemand vom TSV-Vorstand in der Lage, das Unheil aufzuhalten? Um solche Fragen zu beantworten braucht es schon Zeitzeugen, die an den Ereignissen beteiligt waren. Praktischerweise sitzt mit Reinhard Auer ein Gründungsmitglied des HSV Degerfeld von damals seit fast 25 Jahren wieder im Hauptvorstand des TSV Butzbach. Er schreibt an der Handballgeschichte der Stadt seit über 60 Jahren aktiv mit und scheint dafür ein geeigneter Ansprechpartner.

BZ: „Reinhard, fast ein halbes Jahrhundert später kannst du offen sprechen. Warum seid ihr damals kollektiv ausgetreten?“

Auer: „Weil sich um uns als 2. Mannschaft vom Vorstand niemand richtig gekümmert hat. Die erste Mannschaft war immer im Blickpunkt. Wir hatten teilweise Materialnot, sei es Bälle, Trikots oder andere Utensilien. Aber bei Anfragen kam nicht viel. Ich erinnere mich noch an ein Treffen mit dem Vorstand im „Rolandsbogen“, da kam nur ein müdes Lächeln. Wir wurden einfach nicht ernst genommen“

BZ: „Was hat den HSV Degerfeld ausgezeichnet. Haben sich eure Erwartungen in der Unabhängigkeit erfüllt?“

Auer: „Es war ein großes Abenteuer. Anfangs hätte ich nicht gedacht, dass es so lange halten würde. Ich ging eher von einer Übergangslösung aus. In der Spitze hatten wir 100 Mitglieder. Der etwas andere Verein halt. Sportlich war es das Ziel, A-Klasse zu spielen, was wir auch geschafft haben.“

BZ: „Habt ihr es beim HSV in all den Jahren bereut, diesen Schritt zu gehen?“

Auer: „Nein, nie. Wie hatten immer einen großen Zusammenhalt und viel Spaß, jeder war für den anderen da. Bei der Planung für den neuen Verein herrschte eine riesige Euphorie, sei es beim Entwerfen des Logos oder beim Aussuchen der Trikotfarbe. „

BZ: „Wie würdest du die Ereignisse aus deiner heutigen Sicht als Vorstandsmitglied im TSV beurteilen? War es gerechtfertigt?“

Auer: „Es war absolut richtig, ich würde es wieder tun. Für den TSV war es damals schade, da ist die Mittelschicht weggebrochen. Spieler, die auch Dienste, Ehrenamt und andere Dinge beim TSV übernommen hätten, waren dann beim HSV aktiv, eigentlich ein großer Verlust.“

BZ: „Was muss ein Vorstand beachten, damit sich so etwas nicht wiederholt?“

Auer: „Man muss sich um die Mannschaften kümmern. Da ist zum einen das Administrative, das Materielle, das relativ gleichmäßig verteilt werden sollte. Aber auch das Persönliche. Die Mannschaften müssen im Vorstand einen Ansprechpartner haben. Das Interesse am sportlichen Abschneiden sollte nicht immer nur den ersten Mannschaften gelten. Die zweiten und dritten Mannschaften sind ein wertvoller Unterbau, den man immer beachten sollte.“

BZ: „Was sind generell deine schönsten Erinnerungen an den Handball in Butzbach? Wie hast du selbst angefangen?“

Auer: „1961 stand ein Aufruf in der Butzbacher Zeitung, der TSV möchte eine C-Jugend gründen, da bin ich mit ein paar Klassenkammeraden hingegangen. 1966 spielte Dukla Prag in Butzbach gegen Hochelheim, das hat mich inspiriert, denn ich bin im Vorspiel als Torhüter mit der Jugendkreisauswahl aufgelaufen. Fortan spielte ich in kurzen Hosen im Tor wie mein Vorbild Pohl von der SG Leutershausen. Später spielte ich auch im Feld bis in die Oberliga Hessen. Im Männerhandball war ich fasziniert von meinem Trainer Josip Milkovic, der uns körperlich und taktisch enorm geschult hat. Er war nur ein Jahr in Butzbach, spielte in Hüttenberg Bundesliga und wurde später Jugoslawischer Nationaltrainer. In dieser Zeit haben wir es auch endlich geschafft, den TSV Griedel zu schlagen, der in den Jahren zuvor immer stärker war als wir.

BZ: „Im letzten Jahr wurde die HSG Butzbach gegründet. „Der HSV Degerfeld ist neben dem TSV und den Kameraden aus Kirch-Göns und Pohl-Göns einer von vier Bausteinen. Was erwartest du dir davon?“

Auer: „Ich wünsche mir, dass man wieder mal in die Bezirksoberliga aufsteigt, das sollte der Anspruch sein. Höher hinaus wird es wohl nur gehen, wenn wir in Butzbach mit weiteren Clubs aus dem Stadtgebiet an einem Strang ziehen.

BZ: „Vielen Dank, Reinhard, für das Gespräch und viel Erfolg für das TSV-Vereinsjubiläum im zweiten Halbjahr.

Th. Buch